Weniger Gift, aber nicht harmlos – Dampfen in der Schwangerschaft im Faktencheck
Eine neue britische Studie hat für Aufmerksamkeit gesorgt: Forscherinnen und Forscher der University of London wollten wissen, wie groß die Unterschiede wirklich sind zwischen dem klassischen Tabakrauchen und dem Dampfen von E-Zigaretten – insbesondere in einer Phase, in der es um besonders viel geht: der Schwangerschaft. Die Ergebnisse sind interessant, vielschichtig – und sie liefern wichtige Hinweise für Frauen, die mit dem Rauchen aufhören möchten, es aber bisher nicht geschafft haben.
Die Ausgangslage: Rauchen in der Schwangerschaft ist hochriskant
Es ist unumstritten: Rauchen in der Schwangerschaft ist eine der gefährlichsten Gewohnheiten für das ungeborene Kind. Der Rauch enthält Tausende Substanzen, darunter Kohlenmonoxid, Schwermetalle, Teer, Benzol und krebserregende Nitrosamine. Diese Stoffe können die Plazenta schädigen, den Sauerstofftransport hemmen und sich direkt auf die Entwicklung von Organen und Gehirn auswirken.
Die Folgen? Frühgeburt, niedriges Geburtsgewicht, Fehlbildungen, Atemwegserkrankungen, plötzlicher Kindstod (SIDS) – all das sind Risiken, die wissenschaftlich belegt sind. Trotzdem fällt es vielen Frauen schwer, das Rauchen aufzugeben, besonders wenn eine Nikotinabhängigkeit besteht. Hier stellt sich die Frage: Gibt es eine weniger schädliche Alternative?
Die Studie im Fokus: Wer wurde untersucht?
Die in der renommierten Fachzeitschrift „Nicotine & Tobacco Research“ veröffentlichte Studie wurde von einem Forschungsteam um Professor Michael Ussher durchgeführt. Insgesamt wurden 140 schwangere Frauen in fünf Gruppen eingeteilt:
- Nur-Raucherinnen – Frauen, die ausschließlich Zigaretten rauchten.
- Nur-Dampferinnen – Frauen, die ausschließlich E-Zigaretten verwendeten und zuvor geraucht hatten.
- Dual-Userinnen – Frauen, die sowohl rauchten als auch dampften.
- Nikotinersatz-Nutzerinnen – Frauen, die zusätzlich oder ausschließlich Nikotinpflaster oder -kaugummis verwendeten.
- Kontrollgruppe – Frauen, die weder rauchten noch dampften oder Nikotin nutzten.
Was wurde gemessen?
Ziel war es, die Schadstoffbelastung im Körper zu untersuchen. Dafür analysierte das Team Urinproben und suchte darin nach verschiedenen sogenannten „Biomarkern“, also messbaren Stoffwechselprodukten, die auf bestimmte Gifte hinweisen. Diese beinhalteten:
- Nikotin und seine Abbauprodukte (Cotinine)
- Flüchtige organische Verbindungen (VOCs) – darunter Acrolein, Acrylaldehyd, Crotonaldehyd usw.
- Tabakspezifische Nitrosamine (TSNA)
- Schwermetalle wie Cadmium, Blei, Chrom
- 2-Naphthol – ein Marker für Rauch- und Umweltexposition
Diese Stoffe gelten als toxisch, teilweise krebserregend und stark entwicklungshemmend – insbesondere in der frühen Schwangerschaft, wenn viele Organe des Fötus erst angelegt werden.
Die wichtigsten Ergebnisse: Deutliche Unterschiede
Die Auswertung zeigte klare Unterschiede zwischen den Gruppen:
1. Nikotinwerte
Alle Gruppen, die Nikotin konsumierten – egal ob über Zigaretten, E-Zigaretten oder Nikotinersatz – wiesen ähnliche Nikotinwerte im Urin auf. Das war zu erwarten, denn das Ziel war ja nicht, den Nikotinkonsum zu stoppen, sondern die Quelle zu wechseln.
2. VOC-Belastung (giftige Dämpfe)
Hier wurde es spannend: Die Nur-Dampferinnen hatten eine VOC-Belastung, die in vielen Fällen nur minimal höher war als bei der nikotinfreien Kontrollgruppe. In Zahlen: Die Reduktion gegenüber den Raucherinnen lag – je nach Verbindung – zwischen 44 % und 97 %.
Beispiel: Während Acrolein, ein besonders gefährlicher Stoff im Zigarettenrauch, bei Raucherinnen stark nachweisbar war, lag er bei Dampferinnen in Spuren vor – fast auf dem Niveau der Kontrollgruppe.
Auch die Gruppe der Nikotinersatz-Nutzerinnen schnitt sehr gut ab: Ihre VOC-Werte lagen ebenfalls nahe der Kontrollgruppe und waren deutlich niedriger als bei den Raucherinnen oder Dual-Userinnen. Das zeigt, dass auch klassische Nikotinersatztherapien wie Pflaster oder Kaugummis eine effektive Möglichkeit bieten, die Schadstoffbelastung während der Schwangerschaft zu reduzieren – bei ähnlichem Nikotinspiegel, aber ohne die inhalierten Verbrennungsprodukte.
3. Nitrosamine & Metalle
Auch hier zeigte sich: Nur-Dampferinnen und Nikotinersatz-Nutzerinnen wiesen teils nicht nachweisbare Mengen dieser Stoffe auf. Dual-Userinnen hingegen lagen nahe an den Werten der Raucherinnen – ein Hinweis darauf, dass bereits wenige gerauchte Zigaretten ausreichen, um den gesamten Vorteil zu zerstören.
4. Dual Use bringt kaum Vorteil
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis: Wer sowohl raucht als auch dampft, profitiert kaum. Die Schadstoffwerte blieben hoch – Dual-Use ist also keine Lösung – selbst wenige gerauchte Zigaretten reichen aus, um die positiven Effekte des Dampfens fast vollständig zunichte zu machen.
Was bedeutet das alles?
Die Studie zeigt, dass das vollständige Umsteigen vom Rauchen auf das Dampfen oder auf Nikotinersatztherapie die Belastung mit vielen schädlichen Substanzen deutlich verringert. E-Zigaretten und Nikotinpflaster sind daher – zumindest in Bezug auf Schadstoffe wie VOCs und Nitrosamine – wesentlich weniger giftige Alternativen zum Rauchen.
Aber: Weniger giftig heißt nicht harmlos. Auch im Dampf von E-Zigaretten befinden sich Stoffe, deren Langzeitwirkung auf Schwangerschaften nicht abschließend geklärt ist. Aromastoffe, Abbauprodukte von Trägerstoffen (wie PG/VG) oder Schwermetalle aus der Heizspirale sind mögliche Risikofaktoren. Und auch Nikotin in Reinform kann die Durchblutung der Plazenta beeinflussen.
Die medizinische Perspektive: Was sagen Expert:innen?
Die meisten Ärzt:innen raten nach wie vor zu einem vollständigen Verzicht auf Nikotin. Doch sie wissen auch, wie schwer das ist. Deshalb gibt es zunehmend Stimmen, die für pragmatische Lösungen plädieren:
„Wenn eine Schwangere es nicht schafft, mit dem Rauchen aufzuhören, dann ist das vollständige Umsteigen auf E-Zigaretten oder Nikotinersatz ein vertretbarer Schritt zur Risikominimierung“, so Professor Ussher in einem Interview.
Auch Hebammen und Suchtexpert:innen sehen das ähnlich: Niemand will das Dampfen idealisieren – aber als „kleineres Übel“ kann es Leben retten.
Und was ist mit dem Baby?
Hier wird es komplizierter. Die Studie misst Schadstoffe im Urin der Mutter – nicht im Blutkreislauf des Babys, und sie sagt nichts über Entwicklung, Wachstum oder spätere Gesundheit aus. Trotzdem ist klar: Weniger Schadstoffe im mütterlichen Körper bedeuten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weniger Belastung für das ungeborene Kind.
Einige Tierstudien deuten an, dass bestimmte Aromastoffe oder Trägerstoffe im Dampf den kindlichen Organismus belasten könnten. Aber bislang gibt es keine Beweise für schwerwiegende Schädigungen durch das Dampfen selbst – im Gegensatz zum klassischen Tabakrauch, dessen Schäden eindeutig belegt sind.
Persönliche Einordnung – eine menschliche Sichtweise
Als Vater, als Mensch, als jemand, der sich lange mit dem Thema Harm Reduction beschäftigt hat, sage ich: Diese Studie ist wichtig. Sie macht Mut – ohne zu verharmlosen. Sie zeigt, dass nicht alles Schwarz oder Weiß ist.
Viele Schwangere stehen unter Druck. Sie wollen alles richtig machen, aber Sucht ist kein Knopf, den man einfach ausschaltet. Wenn der perfekte Weg nicht möglich ist, dann ist ein besserer Weg besser als keiner. Und genau das können Dampfen oder Nikotinersatzmittel sein: ein besserer Weg.
Ich bin überzeugt: Diese Ergebnisse sollten in die Beratung von Schwangeren einfließen. Offen, ehrlich und ohne moralischen Zeigefinger. Gesundheit bedeutet auch, Entscheidungen auf Basis von Fakten zu treffen – nicht von Schuldgefühlen.
Fazit – was bleibt?
- Rauchen ist das Schlimmste.
- Dampfen und Nikotinersatz sind weniger schädlich – aber keine Freifahrtscheine.
- Nur vollständiger Umstieg bringt echte Vorteile.
- Dual-Use ist nutzlos.
- Medizinische Begleitung ist entscheidend.
- Langzeitforschung ist nötig.
Wer aufhören kann, sollte es tun. Wer es nicht schafft, hat mit E-Zigaretten oder Nikotinersatzmitteln zumindest eine Option, das Risiko deutlich zu reduzieren.
Das ist keine perfekte Lösung. Aber es ist ein Anfang. Und manchmal ist genau das der entscheidende Schritt in die richtige Richtung.