Schlagzeile, Angst und Realität: Warum die neue „3-fach Risiko“-Studie zu Vaping bei Jugendlichen nicht das beweist, was viele behaupten
Vor ein paar Tagen geisterte eine reißerische Schlagzeile durch die Medien:
„Devastating health impact of vaping revealed in major global study“
DailyMail-Artikel hier nachlesen
Der Tenor: Kinder, die dampfen, hätten ein dreifach erhöhtes Risiko, später Raucher zu werden.
Das klingt dramatisch – doch wer sich die Details anschaut, merkt schnell: Hier wird mehr Angst erzeugt, als die Daten hergeben. Ich habe mir die Studie und die Berichterstattung genau angesehen – und zeige dir, warum die Schlussfolgerungen wackeln.
Worum geht es überhaupt?
Die Schlagzeile basiert auf einer „Umbrella Review“ – einer Übersichtsarbeit, die nicht selbst Daten erhoben hat, sondern bestehende Übersichtsarbeiten zusammengefasst hat.
Insgesamt wurden 56 Reviews mit 384 Studien einbezogen, darunter 21 zum Thema Jugend-Vaping und Rauchen.
Die Kernaussage:
- Jugendliche, die dampfen, sind dreimal so wahrscheinlich, später zu rauchen.
- Außerdem gebe es Hinweise auf mehr Asthma, Bronchitis, Migräne, Depressionen und sogar Suizidgedanken bei jungen Dampfern.
- Vaping sei damit eine „Türöffner-Substanz“ („Gateway“) zum Rauchen und anderen Drogen.
Das klingt nach einem klaren Urteil. Aber sobald man sich die Methoden anschaut, zeigt sich: So eindeutig ist das alles nicht.
Der erste Haken: Qualität der Studien
Von den 56 analysierten Reviews wurden ganze 53 als „kritisch niedrig“ oder „niedrig“ in der Qualität eingestuft.
Das heißt: Die meisten der Grundlagenarbeiten waren methodisch schwach – etwa weil sie nur Beobachtungen ohne Kontrolle für wichtige Faktoren enthielten.
Mit anderen Worten:
Die Datenbasis, auf der die „dreifach Risiko“-Behauptung steht, ist mehr als wackelig.
Konsistenz ist nicht Kausalität
Die Autoren betonen selbst: Sie sehen Assoziationen, aber keine Beweise für Ursache-Wirkung.
Das Problem ist bekannt: Jugendliche, die ohnehin zu Risikoverhalten neigen, probieren eher E-Zigaretten – und später eben auch Tabak, Alkohol oder Cannabis. Dieses „common liability“-Prinzip ist wissenschaftlich gut dokumentiert.
Nur weil zwei Dinge zusammen auftreten, heißt es nicht, dass das eine das andere verursacht. Genau das wird aber in den Schlagzeilen so dargestellt.
Was bedeutet „dreifach erhöhtes Risiko“ wirklich?
Ein Beispiel macht es klarer:
Wenn von 100 Jugendlichen ohne Vape-Erfahrung vielleicht 2 später regelmäßig rauchen – und von 100 Jugendlichen mit Vape-Erfahrung 6 rauchen – dann ist das dreimal so viel.
Statistisch korrekt – aber absolut gesehen reden wir über 4 zusätzliche Jugendliche.
Und: In vielen dieser Studien ging es gar nicht um regelmäßiges Rauchen, sondern nur um „jemals probiert“. Ein einziger Zug an einer Zigarette reichte, um in der Statistik als „Raucher“ gezählt zu werden. Das bläht die Zahlen künstlich auf.
Der Widerspruch auf Bevölkerungsebene
Noch deutlicher wird der Denkfehler, wenn man das große Ganze betrachtet:
In den letzten zehn Jahren ist die Raucherquote unter Jugendlichen stark gesunken, während Vaping zugenommen hat.
Wenn Vaping wirklich ein „Gateway“ wäre, müsste das Gegenteil passieren: mehr Dampfen = mehr Rauchen. Genau das passiert aber nicht.
Die Liste der angeblichen „Folgen“
Asthma, Bronchitis, Kopfschmerzen, Depression, Suizidgedanken, sogar niedrige Spermienzahl – die Liste klingt dramatisch. Aber:
- Viele dieser Zusammenhänge stammen aus Querschnittsstudien – also Momentaufnahmen, die gar nicht zeigen können, was Ursache und was Folge ist.
- Häufig wurde nicht unterschieden, ob Jugendliche nur dampfen oder zusätzlich rauchen („Dual Use“). Klar, dass in solchen Gruppen mehr Krankheiten auftauchen.
- Psychische Probleme können ebenso gut der Grund sein, warum Jugendliche eher zur E-Zigarette greifen – nicht die Folge davon.
Politische Schlagseite
Auffällig ist auch, wie stark die Studie politisch eingeordnet wird.
Die Autoren betonen die Notwendigkeit von strikteren Regulierungen und mehr Verboten – vor allem beim Jugendmarketing.
Das mag gut klingen, blendet aber komplett aus, dass Vaping für erwachsene Raucher eine lebensrettende Alternative ist.
Ein erwachsener Raucher, der komplett aufs Dampfen umsteigt, reduziert seine gesundheitlichen Risiken massiv. Doch davon liest man in den Artikeln nichts. Stattdessen wird mit Kinderbildern gearbeitet – ein Klassiker, um Stimmung zu machen.
DailyMail & Co: Schlagzeilen statt Fakten
Der DailyMail-Artikel übertreibt zusätzlich:
- Behauptet wird, dass ein Drittel der 16–18-Jährigen regelmäßig dampft – offizielle Zahlen liegen deutlich darunter.
- Risiken wie „dreifach höher“ werden ohne Einordnung gebracht.
- Die Unterschiede zwischen Assoziation und Kausalität werden verwischt.
Am Ende bleibt beim Leser hängen: „Vaping ist schlimmer als gedacht“ – obwohl die Studie das gar nicht belegt.
Der Elefant im Raum: Erwachsene Raucher
Die Debatte wird oft so geführt, als ob es nur Jugendliche gäbe. Dabei ist die eigentliche Stärke der E-Zigarette, dass sie Rauchern einen Ausstieg bietet.
Cochrane, die renommierteste Organisation für medizinische Evidenz, hat 2024 noch einmal klar festgestellt: Nikotinhaltige E-Zigaretten sind effektiver beim Rauchstopp als klassische Nikotinersatztherapien.
Diese Seite fehlt völlig in der aktuellen Berichterstattung. Stattdessen wird der Fokus auf Jugendrisiken gelegt – die natürlich existieren, aber nicht dazu taugen, erwachsene Harm Reduction in Frage zu stellen.
Mein Fazit
Ja: Jugendliche sollen nicht dampfen. Punkt.
Aber: Die aktuelle „3-fach Risiko“-Studie beweist nicht, dass Vaping Jugendliche ins Rauchen treibt.
Sie zeigt lediglich, dass Jugendliche, die ohnehin eher risikofreudig sind, häufiger sowohl dampfen als auch rauchen. Ob das Dampfen der Grund dafür ist, lässt sich aus den Daten nicht schließen.
Die Schlagzeilen, die jetzt überall kursieren, sind daher überspitzt, verkürzt und politisch aufgeladen.
Und sie lenken ab vom eigentlichen Thema: Dass die E-Zigarette für Millionen Erwachsene weltweit den Unterschied zwischen weiterrauchen und gesundheitsbewusster Alternative macht.
👉 Was meinst du:
Siehst du in solchen Studien einen echten Erkenntnisgewinn – oder nur das nächste Kapitel in einer politischen Kampagne gegen die E-Zigarette?