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Die große Illusion vom Abschied – Wie die Tabakindustrie den Wandel zur rauchfreien Zukunft in ein Milliardenmodell verwandelt

Ein persönlicher Blick hinter die Kulissen einer „Transformation“, die nur auf den ersten Blick fortschrittlich wirkt.


Der scheinbare Rückzug

Seit einigen Jahren hören wir von den großen Tabakkonzernen immer wieder dieselbe Botschaft:

„Wir wollen, dass die Zigarette verschwindet.“
Philip Morris nennt es die „rauchfreie Zukunft“. BAT spricht von „Beyond Nicotine“. Und auch Japan Tobacco International gibt sich zukunftsgewandt.

Für viele klingt das wie ein historischer Wandel – als würden jahrzehntelange Profiteure plötzlich zur Gesundheitsbewegung werden. Doch wer genauer hinschaut, erkennt schnell:
Die Industrie plant keinen Rückzug – sie plant eine Umstrukturierung. Und zwar so, dass kein Cent verloren geht.


Warum die Zigarette sterben muss

Die Gründe für das Ende der klassischen Zigarette sind nachvollziehbar – auch aus Sicht der Industrie:

  • Der gesellschaftliche Druck wächst.
  • Die Regulierungen werden strenger.
  • Die Medienberichte über Todesfälle, Krebs, COPD, Lungenoperationen sind omnipräsent.
  • Selbst in Entwicklungsländern gibt es immer mehr Anti-Rauch-Kampagnen.
  • Zigaretten haben ein PR-Problem, das nicht mehr zu kitten ist.

Die Konzerne wissen: Die klassische Zigarette hat keine Zukunft.
Aber anstatt die Verantwortung zu übernehmen oder sich wirklich zurückzuziehen, entwickeln sie eine raffinierte Strategie:
Sie wollen die Zigarette ablösen – aber nur durch eigene Alternativen, die den Profitfluss nicht unterbrechen.


„Rauchfrei“ ist nicht „nikotinfrei“

Der erste Trick ist sprachlich – und darum so effektiv.

Wenn Philip Morris sagt:

„Wir wollen, dass Menschen nicht mehr rauchen“,
klingt das nach Entwöhnung, Gesundheit, Fortschritt.

Aber es bedeutet in Wahrheit:

„Wir wollen, dass Menschen weiterhin Nikotin konsumieren – nur nicht durch Verbrennung.“

Das Ziel ist also kein Nikotinausstieg. Es ist ein Produktwechsel.
Vom Glimmstängel zum Erhitzer. Von der Zigarette zur Vuse. Von Rauch zu Aerosol.

Der Stoff – Nikotin – bleibt. Die Abhängigkeit auch. Nur das Produkt wird „neu verpackt“.
Und das sorgt für massive neue Chancen auf dem Weltmarkt – denn Nikotin hat viele Gesichter:

  • Tabakerhitzer (IQOS, glo, Ploom)
  • E-Zigaretten (Vuse, VEEV, blu)
  • Nikotinbeutel (Velo, ZYN, Nordic Spirit)

Das bedeutet:
Die Industrie ersetzt ein Produkt, das gesellschaftlich verbrannt ist – durch neue Produkte, die politisch, juristisch und medial noch Spielraum haben.


Kontrolle statt Wandel

Ein echter Wandel wäre ein offenes Spielfeld. Freier Markt. Innovation.
Aber das will die Tabakindustrie vermeiden – denn:

Der Wandel soll stattfinden, aber bitte kontrolliert. Und mit möglichst wenig Konkurrenz.

Deshalb erleben wir:

  • Gezielte Lobbyarbeit, um Einwegprodukte kleiner Firmen zu verbieten (die oft günstiger und für Jugendliche attraktiver sind).
  • Steuerliche Forderungen, damit nur die eigenen Produkte günstig bleiben – während Konkurrenzprodukte reguliert oder verteuert werden.
  • Kooperationen mit Regierungen, bei denen Tabakerhitzer oder Beutel „integriert“ ins Monopolsystem werden (wie in Österreich).

Das Ziel ist klar:

Nicht jeder darf am neuen Markt teilhaben – nur die, die groß genug sind, um die Regeln zu beeinflussen.


Imagewandel durch PR-Kampagnen

Der größte Geniestreich der Tabakindustrie ist aber ein anderer:

Sie inszeniert sich als Lösung.

Statt Schädiger der öffentlichen Gesundheit, plötzlich:

  • Partner der WHO-Ziele („rauchfreie Generation“)
  • Unterstützer von Harm Reduction
  • Anbieter von „weniger schädlichen Alternativen“

Philip Morris spricht von „wissenschaftlich gestütztem Fortschritt“.
BAT nennt sich „Katalysator für Veränderung“.
Die Verpackungen glänzen mit Weiß, Silber, Bio-Schrift und bunten Farben.

Doch wer ist der Absender dieser Kampagnen?

Immer dieselben Konzerne, die jahrzehntelang Milliarden verdient haben – und noch heute jedes Jahr mehr als 4 Billionen Zigaretten weltweit verkaufen.

Diese PR-Offensive ist kein Gesinnungswandel.
Sie ist der Versuch, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen – und gleichzeitig neue Märkte moralisch zu legitimieren.


Die Finanzlogik hinter dem Wandel

Warum ist die Tabakindustrie so motiviert, neue Wege zu gehen?
Weil der Wandel kein Verlust ist. Sondern ein Upgrade.

Denn:

  • Nikotinprodukte wie IQOS oder ZYN haben höhere Margen als klassische Zigaretten.
  • Der direkte Verkauf (oft über Online-Kanäle oder eigene Stores) spart Zwischenhändler.
  • Die Geräte schaffen Kundenbindung: Wer ein Tabakerhitzer-Gerät besitzt, kauft auch die passenden Sticks.
  • Wer früh umsteigt, bleibt beim Konzern – ein Wechsel zur Konkurrenz ist unwahrscheinlicher.

Das ist kein Verlustgeschäft. Es ist die digitale Subscription-Version des Rauchens.


Zwei Geschwindigkeiten – je nach Land

Die Tabakindustrie fährt zweigleisig. Je nach Region wird unterschiedlich agiert:

In westlichen Ländern:

  • Fokus auf neue Produkte, sauberes Image, Alternativen, Gespräche mit Politik.
  • Zigarettenverkauf wird nicht forciert, sondern langsam zurückgefahren.

In ärmeren Ländern:

  • Zigarette bleibt Hauptprodukt.
  • Werbung läuft weiter auf Hochglanz.
  • Politischer Druck ist gering, Regulierung schwach.

Der Satz „Wir wollen, dass die Zigarette verschwindet“ gilt also nur für bestimmte Länder – überall sonst läuft das Geschäft weiter wie gehabt.


Was mich an dieser Strategie stört

Ich habe selbst Jahrzehnte geraucht. Ich weiß, wie schwer der Ausstieg ist – und wie wichtig eine funktionierende Alternative sein kann.
Ich halte Harm Reduction für richtig und wichtig. Und ich bin froh, dass es E-Zigaretten gibt. Sie haben mein Leben verändert.

Aber was die großen Konzerne hier machen, hat nichts mit echter Verantwortung zu tun.
Es ist eine Business-Transformation, kein gesundheitlicher Fortschritt aus Überzeugung.

Mich stört:

  • dass man mit dem Image „wir retten die Menschen“ spielt, aber weiter Milliarden mit der Sucht verdient.
  • dass die Industrie plötzlich als „Partner der Politik“ auftritt, obwohl sie noch vor wenigen Jahren gezielt Raucher-Mythen gestreut hat.
  • dass die echten Innovatoren – kleine E-Zigaretten-Hersteller, unabhängige Marken, engagierte Aufklärer – durch neue Gesetze verdrängt werden, weil sie nicht in das Spiel der Großen passen.

Es ist, als würde ein Brandstifter den Feuerwehrhelm aufsetzen – und sich dafür feiern lassen, dass er jetzt löscht.
Dabei brennt es hinten weiter. Und zwar kontrolliert. Und sehr profitabel.


Was bedeutet das für uns?

Als Dampfer. Als Konsumenten. Als Menschen, die sich mit dem Thema wirklich auseinandersetzen?

Es bedeutet:

  • Wir dürfen den Wandel nicht blind feiern, nur weil er gut klingt.
  • Wir sollten genau hinsehen, wer profitiert – und wer dabei auf der Strecke bleibt.
  • Wir müssen echte Alternativen unterstützen, die nicht Teil der Konzernlogik sind.
  • Und wir sollten der Politik klarmachen:

Regulierung ist wichtig – aber sie darf nicht zu einem Geschäftsmodell für die Tabakriesen werden.


Die Zukunft ist nicht „rauchfrei“. Sie ist, was wir daraus machen.

Die Tabakindustrie wird die Zigarette beerdigen. Daran besteht kein Zweifel.

Aber sie tut es nicht, um uns zu retten.
Sie tut es, um frühzeitig das nächste große Geschäftsfeld zu besetzen.

Wenn wir nicht aufpassen, dann wird aus „rauchfrei“ einfach nur „profitmaximiert“.
Die Produkte werden moderner, der Konsum bleibt – und der Einfluss der Industrie wächst.

Deshalb braucht es Menschen, die hinschauen. Die sich nicht von Werbekampagnen blenden lassen.
Und die klar sagen:

Der Wandel ist richtig.
Aber nicht um jeden Preis – und nicht unter der Kontrolle jener, die ihn jahrzehntelang verhindert haben.


Thomas Frohnert aka Steamshots ist leidenschaftlicher Dampfer, Technik-Enthusiast und Betreiber von steamshots.de. Seit über zehn Jahren setzt er sich intensiv mit dem Thema Dampfen und Harm Reduction auseinander. Auf seinem Blog teilt er fundierte Einblicke, ehrliche Reviews und praxisnahe Tipps rund um Aromen, Hardware und aktuelle Entwicklungen der Branche. Sein Ziel: Aufklärung ohne Hype – sachlich, verständlich und mit einem persönlichen Touch.

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